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…wir lesen, wir schreiben, geht noch was?

Seufz – voller Zuversicht hatte ich diesen Blog mal gestartet, um neben all dem, was mich in der Welt umtreibt, dem Raum zu geben, was mein Schreiben betrifft, denn das tue ich seit meinem dreizehnten Lebensjahr, ungeachtet dessen, ob es jemand wahrnimmt oder nicht. Es gehört zu meinem Leben – so pathetisch es klingt – wie Atmen, Essen und Trinken. Lesen und Schreiben haben mich getröstet, erfreut, in Spannung gehalten, gerettet. Es gibt im Leben eines Menschen Ereignisse, die ihn auseinanderreißen. Mir ist das Anfang 2023 geschehen. Inzwischen ist es mir gelungen, mich wieder einigermaßen zusammenzusetzen. Ehe ich darüber genauer berichten kann, wird noch Zeit vergehen, es handelt sich um den Verlust eines über alles geliebten Menschen. Seit diesem Frühling fange ich an, mich auch als Schriftstellerin wieder zu finden.

Und weil das alles so schwer war und ist, stehe ich den Geschehnissen in der Welt hilfloser gegenüber denn je. Wenn schon ein Verlust, der einen plötzlich, aber auf natürliche Weise getroffen hat, dazu führt, dass man denkt verrückt zu werden – wie kann es dann sein, dass es Menschen erlaubt ist ein solches Schicksal tagtäglich über Unzählige zu bringen? Da ist nichts Natürliches, da wird gemordet und gefoltert mit allen Mitteln. Milliarden Menschen wollen in Frieden leben und lassen es zu, dass bestimmte Anführer und ihre Anhänger den Krieg immer noch als legale Konfliktlösungsstrategie für ihre Interessen einsetzen dürfen. Wann und wie kann die Menschheit dem ein Ende bereiten? Agressoren einfach als Kriminelle behandeln und zusammen in einen Knast schicken, ehe andere sich mit denselben Mitteln verteidigen müssen, denn mit Worten kann man sich gegen Mörder nicht verteidigen.

Ja, die Literatur spielt weiter eine große Rolle für mich… gerade habe ich noch einmal die Kriminal-Trilogie des schwedischen Journalisten und Herausgebers Stieg Larsson gelesen. 1954 in Uméa geboren, galt er weltweit als Experte, der sich gegen Rechtsextremismus und Neonazismus einsetzte. Die Trilogie Verblendung-Verdamnis-Vergebung um den investigativen Journalisten Mikael Blomkvist und dem Computergenie Lisbeth Salander konnte er kurz vor seinem Tod 2004 vollenden. Er wurde dafür 2006 postum als bester Krimiautor Sandinaviens geehrt. Welche Parallelen möglicherweise zwischen dem Magazin EXPO, dessen Herausgeber Stieg Larsson war, und dem fiktiven Magazin Millennium, dessen Mitherausgeber die Buchfigur Mikael Blomkvist ist, bestehen, müsste ich noch überprüfen. Fest steht, dass hier ein Journalist und eine durch ihr persönliches – in seiner Grausamkeit schwer zu beschreibendes – Schicksal nicht gebrochene, sondern zur Kämpferin gewordene Hackerin- mit ihren Mitteln, dem geschriebenen Wort und einer außergewöhnlichen Netzintelligenz, Schwerstkriminellen, die die Mechanismen der Machtstrukturen in Wirtschaft und Politik für sich einzusetzen wissen, den Kampf ansagen. Es schimmert durch, dass man mit legalen Mitteln nicht unbedingt Trumpfkarten in der Hand hält in einem solchen Kampf.

Weiter beschäftigt mich natürlich die Künstlerin und Schriftstellerin Hilde Rubinstein (1904-1997). Hier gleich einen kurzer Ausschnitt zu Leben und Werk, für die, die noch nie von ihr gehört haben.

Die gebürtige Augsburgerin hat in Köln ihr Abitur gemacht und dort an der Werkschule studiert. Ihre Zeichnungen und Graphiken erschienen in renommierten Blättern wie dem »Querschnitt« und der »Literarischen Welt«, bevor sie sich hauptsächlich dem Schreiben von Dramen widmete.

Als Jüdin und KPD-Mitglied 1934 verhaftet, konnte sie mit ihrer Tochter über Stockholm nach Moskau fliehen, wo sie als »trotzkistischer Kurier« erneut in Haft kam. Nach ihrer Entlassung (1937) machte sie Schweden zu ihrer Wahlheimat und schrieb dort Zeitstücke, Gedichte und Prosa, darunter den Roman »Atomdämmerung« und das Theaterstück »Tiefgefrorenes Reh«, in denen sie Themen wie Krieg, Umweltzerstörung und bedingungslosen Fortschrittsglauben in den Fokus stellt. Der Kampf der Jugend gegen eine solche Haltung der Elterngeneration wirkt in diesem Stück wie eine Vorwegnahme der Forderungen der ‚Fridays for Future‘, die sich für eine lebenswerte Zukunft auf unserem Planeten einsetzen. Texte, die Hilde Rubinstein in den 60gern, 70gern und 80gern verfasste, hätte ich gern als junger Mensch gelesen, weil sie in ganz unterschiedlichen literarischen Formen alles verdeutlichen, was einem umweltbewussten und dem Fortschrittsglauben eher skeptisch gegenüberstehenden Menschen schon in der damaligen Zeit und heute in noch außerordentlicherem Maß zu schaffen macht.

In Schweden gewann der Roman »Atomdämmerung«, den Hilde Rubinstein auch dramatisierte, viele Preise und wurde in 80.000 Exemplaren gedruckt. In Deutschland blieb er nahezu wirkungslos. Hilde Rubinstein übersetzte ihn selbst ins Deutsche, aber sie fand keinen Verleger dafür. In einem renommierten Kölner Verlag machte man ihr ziemlich deutlich, es sei nicht gut, dass in Zeiten des Wirtschaftswunders und des kalten Krieges jemand wie sie – gemeint war wohl: eine Jüdin, eine Frau, eine Kommunistin – sich derart pazifistisch und anti-imperialistisch äußert. Nach langer Suche fand sie einen Schweizer Verlag, der das Buch äußerst schlecht übersetzt herausbrachte.

Aber Hilde Rubinstein arbeitete unbeirrt weiter, über zwanzig Dramen, kulturkritische Essays, Hörspiele, Gedichte, Rezensionen, Reisebeschreibungen und Tagebücher, die sie im Rundfunk, in literarischen Zeitschriften oder in Kleinstverlagen publizierte. Ihre Themen: Umweltverschmutzung, Generationenkonflikt, Antisemitismus, Verdrängung des Holocaust, Friedensbewegung, Rassismus, Kinderarmut, Vietnam-Krieg, Todesstrafe, Asylpolitik, der arabisch-israelische Konflikt, Massentierhaltung, Kritik an der katholischen Kirche. Ein Teil dieser unglaublich aktuellen Texte ist versammelt in dem Textband »Tiefgefrorenes Reh«, der 1987 im Ostberliner Henschel-Verlag erschien, wo man die zu diesem Zeitpunkt inzwischen 83jährige Autorin besser zu schätzen wusste als in Westdeutschland. 

Die ungebrochene Aktualität ihres Werkes, die Art und Weise, wie Hilde Rubinstein Wohl und Wehe der gesamten Menschheit literarisch in Augenschein nimmt, obwohl sie allen Grund gehabt hätte, ihren eigenen dramatischen und schwierigen Lebensweg in den Fokus zu setzen, lässt mich weiter darauf hinarbeiten ihr Werk einem breiterem Publikum der Gegenwart bekannt zu machen.

Und obwohl ich dem Hype, der in Jubiläumsjahren gleich ob zu Tod oder Geburt regelmässig stattfindet, mit Abwehr gegenüberstehe, beschäftige ich mich etwas mehr als gewöhnlich (in dieTexte von denen, die man liebt, schaut man ja immer wieder hinein) mit Franz Kafka, was sich v.a, auf den aktuellen Diskurs zu ihm bezieht und wo mir manches nicht passt. Da muss ich aber meine Kritik noch mal überprüfen, ehe ich ich sie dann in Kürze hier zum Besten gebe.

Eigene Veranstaltungen von 2022 und 2023 und solche, bei denen ich mitwirken durfte, Recherchereisen etc. für die ich hier aus oben genanntem persönlichen Grund noch keinen Kopf hatte, werden auch noch ihren Platz finden, denn trotz hohem Energieaufwand für mich in dieser Zeit, haben sie mich positiv bewegt und ich danke denen, die dazu beigetragen haben, dass ich sie trotz allem in Angriff genommen hatte.

OK, soweit für heute, ich wünsche euch und der ganzen Welt gute Zeiten. Kämpft weiter für eine bessere Welt für alle. Natürlich bin ich weiter für Schreiben und Lesen, aber vielleicht fällt uns noch was ein, denn wir dürfen auch die nicht vergessen, die gar nicht lesen und schreiben gelernt haben (etwa 770 Millionen zur Zeit) und die, die es nicht können, weil sie existentiell nicht dazu in der Lage sind, ob durch Krieg, Flucht (die Uno Flüchtlingshilfe spricht von aktuell weltweit 120 Millionen Vertriebenen) , Dürre, Überschwemmung, Hunger, Durst etc. Also habt immer im Kopf, wer gerade behaust lesen und schreiben kann und darf, gehört auf jeden Fall zum privilegiertem Teil der Menschheit. In einer besseren Welt sollte das für alle möglich sein.

Die Welt steht Kopf…

darum mischen sich bei mir auch die Seiten Home und Aktuelles/Politik, kann das eigentlich noch jemand für sich trennen?

Jeder versucht seine persönlichen Ziele weiterzuverfolgen, seinen Verpflichtungen nachzugehen, auch die angenehmen Seiten des Lebens nicht wegzulassen… aber immer ist die Weltlage mit in Sicht, zu Recht wie ich finde, aber immer noch nicht hat sie genügend Aufmerksamkeit – in den Nachrichten vielleicht, aber nicht in unserem alltäglichen Handeln und vor allem auch nicht in den Entscheidungen derjenigen, die für die großen Entscheidungen verantwortlich zeichnen.

Oki, also verzeiht mir, wenn ihr hier von Literatur lesen wollt, aber Politisches serviert bekommt. Natürlich schreibe ich, mache Lesungen oder engagier mich in der Literaturförderung, aber alles verblasst hinter dem Gedanken, dass Kriege herrschen und das Klima kollabiert und die Menschen an Hunger und Durst oder durch Waffengewalt sterben.

Trotzdem hier mal ein paar Bilder zu Lesungen, das war am 30.3.22 im FORUM VHS im Museum am Neumarkt, Köln

Kölner Künstler*innen äußerten sich zum einzigartigen Kölner Grundgesetz und es war satirisch, heiter, bissig, ernst.

Meinen Text kann ich ja hier zum besten geben:

Artikel 3

Normal springe ich hinein ins Thema- dass Worte, Silben, Buchstaben fliegen bis sie ihren gemütlichen Platz gefunden haben oder eben widerständig eine geschmeidige Lesbarkeit verhindern.

Heute stolpere ich, weil ich Köln liebe und in dieser sympathischen unvollkommenen Stadt mit ihren sympathischen unvollkommenen Menschen dem Kölschen Grundgesetz gegenüber eine wohlwollende Haltung gepflegt hatte… wo immer ich die geflügelten Worte hörte, sie schienen mir passend, tröstlich, witzig – bis ich mich nun genauer befasste.

Es gibt einen Paragraphen, der mich würgen lässt: „Et hätt noch emmer joot jejange“

Für wen gilt der denn bitte? Für Sieger, Kriegsgewinnler, Überlebende.

Und die sitzen auf einem Berg von Blut und Trümmern im Kleinen wie im Großen, schuldig oder unschuldig, auf jeden Fall noch da – im Gegensatz zu den vielen, die wegen anderer, wegen Murks, Unbedachtheit, Vorteilsnahme oder sogar Vorsatz ihr Leben verloren haben.

Im März 2009 versank das Kölner Stadtarchiv. Den Verlust der Schriften möchte ich an dieser Stelle vernachlässigen, denn zwei junge Menschen verloren ihr Leben wegen der Schlamperei anderer: der 17 Jahre alte Bäckerlehrling Kevin K., der zu seinem Glück eindeutig sofort tot gewesen ist, und  Kahlil G., 24, der vermutlich tagelang lebend in einem Hohlraum gelegen hatte, bevor er in dichtere Trümmer abrutschte, die Feuerwehr fand ihn erst nach dem Abriss zweier Gebäude, zehn Tage nach dem Einsturz.

Der Idee Gernot Eisenhauers folgend, der Nachrufe verfasst über nicht-prominente Berliner,  möchte ich sie noch einmal deutlich in Erinnerung rufen: Kevin K. und Khalil G., zwei junge Menschen, die in Köln ihr Glück suchten und durch den Murks anderer den Tod fanden und bei dem ganzen Spektakel – Verantwortung oder nicht – längst in Vergessenheit geraten sind. Außer von denen, die sie kannten und liebten. Für diese beiden jungen Menschen ist gar nichts „joot jejange“.

Blicken wir von Köln aus in die Welt. Was bitte soll noch gut gehen für die Ukraine? Tod, Flucht und Zerstörung durch den Murks der Weltpolitik. Wieso kann man einem ‚crazy ruler‘ nicht einfach Einhalt gebieten? Was sind das für internationale Gesetze, die Kriegsverbrechern wie Putin Immunität gewähren? Was gestern gut gegangen ist, wird auch morgen funktionieren? Die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger Europas wurschteln sich durch Gesetze, Bestimmungen, Sitzungen und Beschlüsse, bedenken die wirtschaftlichen Folgen, die doch hinter jedem einzelnen Menschenleben zurückstehen sollten. Diese Mächtigen verspielen die Chance eine Zeitenwende herbei zu führen, den Weg zu ebnen in eine Zukunft, in der die vielen sagen könnten „Et hätt noch emmer joot jejange“, nicht die wenigen, die zum Schluss auf dem Berg der Toten und der Trümmer sitzen. Nichts zählt noch für die Ukraine außer der Niederlegung der Waffen und selbst dann ist nichts, aber auch gar nichts für sie „joot jejange“.

Oki, dann danke ich heute für eure Aufmerksamkeit! Bleibt gesund, haltet die Augen und Ohren offen und verhelft der Welt zum Guten…